Das Kurfürstliche Schloss in Mainz gehörte nicht nur zu den traditionsreichsten Residenzen im Südwesten Deutschlands, sondern blickt zugleich auf fast 200 Jahre bürgerliche Geschichte zurück. Gegründet im 15. Jahrhundert mit der Martinsburg als erzbischöfliche Herrschaftsdemonstration gegenüber der Mainzer Bürgerschaft, wurde es mit dem Ausbau im 17./18. Jahrhundert zum Mittelpunkt einer blühenden Hofhaltung. In der Französischen Revolution für die Sitzungen des Jakobinerklubs vereinnahmt, später als Kaserne, Lazarett und Zollmagazin unter Kaiser Napoleon zweckentfremdet, konnte die Anlage 1827 von der Stadt erworben und in den Folgejahren zu einem Ort bürgerlicher Kultur umgewandelt werden. Das Schloss entwickelte sich zur Heimstatt fast aller Mainzer Museen und Kunstsammlungen, der städtischen Bibliothek sowie vieler denkwürdiger Veranstaltungen. Wenn in Kürze das Römisch-Germanische Zentralmuseum (RGZM) sein neues Haus bezieht, wird die letzte dieser Einrichtungen das Schloss verlassen haben und eine neue Nutzungsphase beginnen.
Mit einem Kolloquium am 29./30. Oktober 2021 sollten an diese reiche kulturelle Tradition der bürgerlichen Zeit erinnert und zugleich Denkanstöße für das Konzept der anstehenden Sanierung und den künftigen Umgang mit dem Schloss gegeben werden. Die Tagung knüpfte damit an das von der Landesdenkmalpflege 2016 ausgerichtete Kolloquium „Das Mainzer Schloss – Glanz und Elend einer kurfürstlichen Residenz“ und den 2021 erschienenen gleichnamigen Tagungsband an, in deren Mittelpunkt die kurfürstliche Zeit stand. Veranstalter waren das Institut für Geschichtliche Landeskunde (IGL), die Direktion Landesdenkmalpflege der GDKE, der Mainzer Altertumsverein (MAV) und die Stadt Mainz als Gastgeber.
In ihrer Begrüßung unterstrich Kulturdezernentin Marianne Grosse den unverändert hohen Stellenwert des Schlosses für das gesellschaftliche Leben und die Absicht der Stadt, den markanten Bau auch in seiner fortgeschriebenen Nutzung als Kultur- und Kongresszentrum weiterhin allen Bürgern zu öffnen. Mit der Einsetzung eines Runden Tisches sowie mit der Berufung eines Expertenkreises wolle man bewusst externe Anregungen und Sachverstand einbeziehen.
In zwölf Vorträgen wurde die wechselvolle Nutzungsgeschichte des Schlosses und seines Umfeldes ausgebreitet. Neben der Stadtbibliothek, dem Naturhistorischen Museum, dem Gutenbergmuseum und der Sammlung plastischer Kunst fanden auch das Altertumsmuseum, die Gemäldegalerie und die Steinhalle mit ihrer einzigartigen Sammlung römischer Monumente, die den Kern des heute zur GDKE gehörenden Landesmuseums bilden, hier ein Unterkommen, bis die wachsenden Bestände zum Ortswechsel zwangen. Das 1852 zusammen mit dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg gegründete RGZM hielt sich am längsten und belegte zuletzt den gesamten Rheinflügel des Schlosses. Thema der Tagung war aber auch die Allgegenwart des Militärs während des 19. Jahrhunderts und die anschließende städtebauliche Entwicklung bis zum rheinland-pfälzischen Regierungsviertel mit manchen anspruchsvollen, meist jedoch unausgeführt gebliebenen Projekten. Zwischen 1897 und 1925 erfuhr das Schloss eine grundlegende Restaurierung, die neben den prachtvollen Fassaden die barocken Innenräume umfasste und in Aufwand und fachwissenschaftlichem Anspruch Maßstäbe auch für die jetzt anstehende Umbaumaßnahme setzt. Mit den damals neu geschaffenen Porträtbüsten von bedeutenden historischen Persönlichkeiten in den Fenstergiebeln schuf sich das Bürgertum am ehemals landesfürstlichen Residenzbau sein eigenes steinernes Denkmal. Bis in die Gegenwart verbindet sich das Schloss dagegen nicht nur für die Mainzer alljährlich mit dem bürgerlichen Spektakel der Fernseh-Fastnacht, die in ihren unterschiedlichen Facetten durchaus kritisch beleuchtet wurde.
In der abschließenden Diskussion bestand Einigkeit darüber, dass die kurfürstliche ebenso wie die bürgerliche Geschichte des Schlosses bei der kommenden Überplanung Teil des gestalterischen Gesamtkonzepts sein müsse und es eine Herausforderung darstelle, sie in geeigneter Form auch im 1942 weitgehend zerstörten Inneren wieder anschaulich werden zu lassen.
Dr. Georg Peter Karn
Weiterbildung und Vermittlung
Programm
Kurfürst und Bürgerschaft – Transformationen des Mainzer Schlosses
29./30. Oktober 2021, Kurfürstliches Schloss, Forstersaal
Freitag, 29.10.2021
Begrüßung
Marianne Grosse, Stadt Mainz, Dezernentin für Bauen, Denkmalpflege und Kultur
Dr. Kai-Michael Sprenger, Institut für Geschichtliche Landeskunde
Dr. Georg Peter Karn, Generaldirektion Kulturelles Erbe, Direktion Landesdenkmalpflege
Günther Knödler, Mainzer Altertumsverein
Prof. Dr. Michael Matheus: Einleitung: Kurfürst und Bürgerschaft. Transformationen des Mainzer Schlosses
Dr. Georg Peter Karn: Eine „nationale Aufgabe“ – die Wiederherstellung des Schlosses im 19./20. Jahrhundert.
Dr. Diether Degreif: „Achtung … präsentiert das Gewehr“ – Schloss und Schlossareal im Wechsel unter Zweispitz, Dreispitz und Pickelhaube
Dr. Annelen Ottermann: Häuser für Bücher 1845-1912: 67 Jahre Stadtbibliothek im Schloss - ein letztes Provisorium
Dr. Annette Frey: Ort der Wissenschaft. 170 Jahre Römisch-Germanische Zentralmuseum im rheinseitigen Flügel des Kurfürstlichen Schlosses (1852 bis 2022)
Gernot Frankhäuser: Das kurfürstliche Schloss als Ort der städtischen Sammlungen – ein unbeabsichtigtes Universalmuseum?
Samstag, 30.10.2021
Prof. Dr. Kirsten Grimm: Die Sammlungen der Rheinischen Naturforschenden Gesellschaft im Kurfürstlichen Schloss zu Mainz
Dr. Luzie Bratner: Eine bildungsbürgerliche Galerie von uomini illustri am Mainzer Schloss
Dr. Patrick Schollmeyer: Bürgerliche Antike am ehrwürdigen Ort – Der Verein für plastische Kunst und seine Gipssammlung im Akademiesaal
Prof. Dr. Stephan Füssel: Das Gutenbergmuseum im Schloss
Dr. Rainer Metzendorf: Das Schloss in Mainz als neues städtebauliches Zentrum im 20. Jahrhundert.
Günter Schenk: Ein Spektakel für Millionen: Die Mainzer Fastnacht im Schloss