| Meldung

Jünger und wehrhafter als vermutet

Untersuchungen am Westturm der evangelischen Kirche von Reichenbach-Steegen brachten neue und zuweilen überraschende Ergebnisse.

Inmitten des Ortes Reichenbach-Steegen (Kreis Kaiserslautern) liegt der von einer Mauer umgebene protestantische Kirchhof. Die Baugeschichte der erstmals 1291 erwähnten Kirche mit quadratischem Chor, einschiffigem Langhaus und Westturm lag bislang weitgehend im Dunklen. Es wurde vermutet, dass die gesamte Kirche im späten 13. Jahrhundert erbaut wurde und Veränderungen am Langhaus im 18. Jahrhundert stattfanden. Im Fokus der bau- und kunstgeschichtlichen Literatur standen bisher nur die im Jahr 1927 wiederentdeckten gotischen Malereien des Chorgewölbes.

Geplante Instandsetzungsarbeiten am Dach des Westturms gaben 2023 Anlass, das Dachwerk und den Turm selbst bauhistorisch genauer zu untersuchen. Das im Auftrag der Landesdenkmalpflege Rheinland-Pfalz durch den Bauhistoriker Dr. Hans-Hermann Reck, Wiesbaden, erstellte Gutachten kam dabei zu einer Neubetrachtung und Einschätzung der Baugeschichte:

Eine bislang vermutete Aufstockung des Turmes konnte ausgeschlossen werden. Er zeigt sich vielmehr baueinheitlich errichtet. Der schwer erreichbare, sehr schmale und mehrfach gesicherte Eingang in den Turm, wie auch die weiter oben liegenden Schießscharten für den Gebrauch von Armbrüsten oder Arkebusen (Hakenbüchsen) sprachen eindeutig gegen eine Datierung ins 13. Jahrhundert. Die Konzeption als Wehrturm und die Anpassung an die (Feuer-)waffen ließen eine deutlich jüngere Zeitstellung vermuten, die sich durch eine dendrochronologische Untersuchung des komplett erhaltenen Dachwerks bestätigt werden konnten. So stammen das Dachwerk wie auch die Rüsthölzer des Glockengeschosses aus dem Jahr 1510. 

Eine weitere Überraschung hielt die dendrochronologische Untersuchung des nachträglich eingebrachten Glockenstuhls bereit. Seine hölzernen Elemente verdeckten ausgerechnet die für die Verteidigung notwendigen Senkscharten des obersten Geschosses. Es konnte nachgewiesen werden, dass der Glockenstuhl schon 1517, also nur wenige Jahre, nachdem der Wehrturm überhaupt erbaut worden war, aufgeschlagen wurde. 

Die ständige Bedrohung durch das Fehdewesen, das mit dem Ewigen Landfrieden 1495 verboten worden war, scheint wohl – auch wenn man noch 1510 die Erbauung des Wehrturms für notwendig erachtete – innerhalb weniger Jahre deutlich zurückgegangen zu sein, sodass auf die Wehrfähigkeit des Turmes verzichtet werden konnte.

Auch für den Chor und das Langhaus brachten allein schon flüchtige Beobachtungen Neuentdeckungen: Während der Chor in seiner Grundstruktur um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein dürfte und wohl um 1300 eingewölbt wurde, stammt der östliche Teil des barockisierten Langhauses vermutlich ebenfalls aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Es dürfte aber einst deutlich kürzer gewesen sein und nach Westen um eine Fensterachse erweitert worden sein. Dies wahrscheinlich noch vor der Errichtung des Westturms, spätestens aber gleichzeitig mit diesem 1510. Das Dachwerk des Langhauses, einst deutlich flacher, wie ein Mörtelabdruck am Mauerwerk des Turmes noch zeigt, ist im 20. Jahrhundert erneuert worden. Nun soll das von 1510 stammende Dachwerk des Wehrturmes instandgesetzt und erhalten werden.
 

Jutta Hundhausen
Bauforschung

 

Teilen

Zurück